EU-Taxonomie: Auswirkungen auf den Bausektor

Überblick zu den Planungs- und Umsetzungsanforderungen

Bis zum Jahr 2050 will die EU klimaneutral werden. Die Hürden sind hoch und das ambitionierte Ziel lässt sich nur mit gemeinsamer Anstrengung sowie mithilfe eines gemeinsamen Werkzeugs erreichen: der EU-Taxonomie-Verordnung. Hier ein Blick auf die Auswirkungen für den Bausektor.

Das wichtigste Regelwerk, das uns auf dem Weg zur Klimaneutralität begleitet, ist der „European Green Deal“. Er wurde im Jahr 2020 vorgestellt und bildet seitdem den übergeordneten politischen Rahmen, um Europa bis 2050 klimaneutral werden zu lassen.

Sein Ziel: die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, um den Klimawandel zu bekämpfen, das Pariser 1,5°-Ziel (doch) zu erreichen und die weitere Umweltverschmutzung zu verhindern. Der European Green Deal umfasst zahlreiche Maßnahmen zur Förderung erneuerbarer Energien, zur Steigerung der Energieeffizienz, zum Schutz der Biodiversität – und er fordert vor allem nachhaltige Investitionen.

EU-Taxonomie-Verordnung

Die Transformation wird durch ein zentrales Instrument gesteuert: die EU-Taxonomie-Verordnung (oder kurz EU-Taxonomie). Entwickelt wurde das Regelwerk, um nachhaltige Finanzierungen und Investitionen zu fördern. Die EU-Taxonomie soll den einheitlichen Rahmen für wirtschaftliche Aktivitäten schaffen, die gemeinhin als „ökologisch nachhaltig“ gelten. Sie ist als Referenz gedacht, um Investoren, Unternehmen und politischen Entscheidungsträgern Kriterien an die Hand zu geben, ihre Maßnahmen als umweltfreundlich zu bewerten und mithilfe nachhaltiger Finanzierungen zu unterstützen. Die EU-Taxonomie schafft darüber hinaus mit der 2022 verabschiedeten Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) die Grundlage für standardisierte Reportings zur Nachhaltigkeit.

Klimaneutralität ohne das Bauen?

Der Bausektor muss einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung der Klimaziele und zur CO2-Neutralität im Gebäudesektor leisten: 40 % der weltweiten CO2-Emissionen entfallen auf ihn. Was bedeutet aber die EU-Taxonomie in ihrer Umsetzung für das Bauen? Zunächst einmal definiert sie grundlegende Kriterien und Standards, die festlegen, was als nachhaltig und umweltfreundlich bezeichnet werden kann. Das ist wichtig, um umweltverträgliches, ressourceneffizientes und klimaneutrales Bauen zu fördern.

Die EU-Taxonomie-Verordnung deckt sechs Umweltziele ab, um die eigene wirtschaftliche Tätigkeit als nachhaltig einzustufen zu können:

Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel.

Förderung einer nachhaltigen und effizienten Nutzung von Ressourcen.

Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

Schutz der Gewässer und Meeresressourcen.

Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft.

Luftreinhaltung und Vermeidung von Umweltverschmutzung.

Seit dem Jahr 2022 sind Unternehmen, die sich am Finanzmarkt das Label „nachhaltig“ geben wollen, verpflichtet, die Anforderungen der Verordnung zu erfüllen. Im Umkehrschluss werden diese Banken und Finanzdienstleistern in absehbarer Zeit kaum mehr in Projekte investieren, die den selbst- bzw. fremdverordneten Anforderungen nicht entsprechen.

Regulierte die Taxonomie bisher vor allem den Finanzmarkt und große Konzerne, ändert sich das nun: Ab 2025 kommen mittelständische Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten, 50 Mio. Euro Umsatz oder 25 Mio. Euro Gewinn hinzu. Ein Mittelständler kann dann durch seine Personal-, Umsatz- oder Gewinnsituation berichtspflichtig werden oder aber im Rahmen eines Bieterverfahrens, unabhängig von seiner Größe, aufgefordert sein, spezifische Nachhaltigkeitskriterien für ein Bauprojekt zu erfüllen und diese nachzuweisen.

Gefragt sind Lösungsanbieter

Die Gemengelage im Baubereich scheint undurchsichtiger, als sie es ist. Denn mit Kreislaufwirtschaft, Cradle to Cradle, Ressourceneffizienz, Resilienz, Recycling und Upcycling kursieren in der Branche bereits lebendige Begriffe, die dem EU-Vokabular zu Klimaneutralität und klimaneutralem Bauen entsprechen. Und in den vergangenen Jahren sind immer mehr Tools und Plattformen aufgetaucht, die Unterstützung in der Architektur- und Nachhaltigkeitsplanung anbieten – und die die teils abstrakten Forderungen wie unergründeten Potenziale der EU-Taxonomie in baubare Projektparameter übersetzen.

Wir haben mit drei dieser Anbieter gesprochen: Caala (D), Reasen (AT) und Madaster (NL/D). Sie alle gehen mit ihren Tools individuelle Wege und verfolgen dennoch ein gemeinsames Ziel: qualitätsvolles Bauen in Zeiten von Rohstoffknappheit, Energiewende und hohen Baukosten zu fördern und mit Klimazielen und Umweltschutz in Einklang zu bringen.

Lebenszyklus vordenken und planen

Der Gebäudelebenszyklus rückt immer stärker in den Fokus des Entwickelns, Planens und Bauens, wie sowohl Patrick Bergmann, unter anderem verantwortlich für den Aufbau der deutschen Dependance von Madaster, als auch Samuel Ebert, als Geschäftsführer und COO bei Caala verantwortlich für Engineering und Professional Services, herausstellen. Ebert: „Ein Gebäude birgt unter anderem deshalb eine große Verantwortung, weil die Umweltauswirkungen in allen Phasen erheblich sein können, von der Materialherstellung heute über die Energieversorgung in 20 Jahren bis zum potenziellen Rückbau nach einer Lebensdauer von zum Beispiel 50 Jahren.“ Patrick Bergmann ergänzt: „Für ein QNG-Siegel oder die DGNB-Zertifizierung kommt man um die Lebenszyklusbetrachtung nicht herum! Und mehr noch: In der EU-Taxonomie wird ergänzend der Rückbau betrachtet. Das betrifft das Bauen vielleicht noch nicht ab sofort, wird aber in wenigen Jahren den Baualltag erreichen.“

Nachhaltigkeits-Bewusstsein muss sich weiterentwickeln

Die eigentlichen Herausforderungen in Bezug auf Kreislaufwirtschaft, Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz liegen jedoch im notwendigen Bewusstsein für diese Themen, das bei Projektbeteiligten häufig fehlt. Architekt Bruno Sandbichler, einer der Entwickler und Konzeptionist von Reasen aus Österreich, erkennt: „Es gibt mit der EU-Taxonomie neue Anforderungen. Das ist klar. Doch sind wir jetzt angehalten, durchgängig nachhaltig zu denken, zu planen, zu agieren. Diese Themen sind allerdings nicht in allen Köpfen angekommen. Es gibt eine ‚Avantgarde‘, bei der sich jetzt zeigt, dass sie wichtige Aspekte in der Diskussion bereits früh vorausgedacht haben. Doch sehen wir bei Auftraggebern, Baubeteiligten, Architekten: Da ist noch einiges zu tun!“

Umweltziele anpacken

In der EU-Taxonomie mit ihrem regulatorischen Impact erkennen alle drei ein effizientes Hilfsmittel, eine nachhaltige Bauwirtschaft zu entwickeln. Und zwar vor allem dadurch, dass es über die Ländergesetzgebung in der EU realisiert wird. Bruno Sandbichler: „Die Taxonomie zeigt außerdem Investitionswege auf, die das Bauen in eine sinnvolle und klimagerechte Richtung entwickelt. Der European Green Deal befeuert das zusätzlich. Der zweite Aspekt ist das Berichtswesen, verbunden mit dem Ziel, alle Bestandsgebäude in der EU bis zum Jahr 2050 zu erfassen. Aktuell gibt es noch keine länderweiten Regelungen, doch werden diese Bauwerksdaten in der Zukunft viele Projektentscheidungen beeinflussen.“ Samuel Ebert sieht die Umweltziele im Kern der Diskussion. Sie müssen jetzt ernsthaft angepackt werden: „Die EU-Taxonomie ist ein Aufhänger. Die Leute haben zum Großteil längst erkannt, dass sie in der gesellschaftlichen Pflicht sind, ökologische Probleme anzugehen. Die Umweltziele sind nun Punkte, an denen niemand mehr vorbeikommt. Durch die Taxonomie werden sie konkret, greifbar und mit Zahlen belegbar. Wir sind mit Caala in der Lage nachzuweisen, dass diese Anforderungen zum Beispiel für den Klimaschutz erfüllt werden können.“ Patrick Bergmann erkennt in dem Regelwerk der EU-Taxonomie den notwendigen wie ordnenden Sinn: „Die Bauindustrie allein wäre diese ökologischen Themen nicht so umfassend angegangen. Wir brauchen die Regulatorik einer EU-Taxonomie. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft müssen in Zukunft zum Beispiel bis zu 70 % Sekundärrohstoffe eingesetzt werden. Bei Beton und Glas darf außerdem der Anteil von Neumaterial bei maximal 85 % liegen.“

Digitale Planungsdaten sind die Basis

Ebenso sinnvoll, vor allem aber notwendig, ist der Einsatz digitaler Werkzeuge, die im besten Fall bereits in frühen Projektphasen wichtige Bauteilinformationen zur Verfügung stellen. Denn eine nachträgliche Einflussnahme auf Nachhaltigkeitsparameter in der Bauphase oder gar erst nach Fertigstellung, ist nahezu unmöglich. Im Gegenteil: Je früher ökologische Aspekte und Nachhaltigkeitskriterien in einem Projekt verankert werden, desto besser wird ein Bauwerk in puncto Klimaneutralität. Caala berechnet beispielsweise aus einem BIM-Modell, das das planende Architekturbüro in der Software Archicad erstellt hat, eine parametrische Lebenszyklus-Analyse. Und das bereits lange vor dem ersten Spatenstich. Angereichert mit Informationen zu Materialien und technischer Gebäudeausstattung, lassen sich damit unter anderem die grauen Emissionen und die Betriebsemissionen über den gesamten Gebäudelebenszyklus prognostizieren – und vorab optimieren.

Der Hebel hierfür setzt also bereits viel früher im Projekt an, beim planenden Architekturbüro und den eingebundenen Fachplanungsbüros, die mit ihrem Bauwerksmodell und den modellbasierten Fachplanungen die Grundlagen legen.

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