Im Gespräch mit Ralph Heiliger
(rechts) sprach mit der Redaktion ber die besonderen Herausforderungen bei der Digitalisierung von Gebäuden. Von Anfang an im Team waren Bruno Zöller (links) und Jochen Grefe (Mitte).
Foto: IngenieurTeam2
Ralph Heiliger: Ja (lacht), das war der Zeitgeist der 1970er. Mein damaliger Berater beim Arbeitsamt meinte, wenn ich den Beruf des Vermessungstechnikers erlernte, werde ich bald arbeitslos sein.
Aber Vermessung ist ja nichts Statisches. Vermessung steht in Wechselwirkung mit der Welt, Vermessung beschreibt die Wirklichkeit, und die Wirklichkeit ist alles andere als statisch. Sie ist ein dynamischer, komplexer Prozess mit zahlreichen Vernetzungen. Da ist nie etwas fertig.
Speziell in meinem Metier – der Vermessung von Architektur – werden ständig Fragen an die gebaute Wirklichkeit gestellt:
Der Eigentümer prüft in regelmäßigem Turnus, ob die Grundrissteilung noch zeitgemäß ist, und fragt, wie man sie unter wirtschaftlichen Aspekten optimieren kann. Der Architekt will sichergehen, dass seine Planung in den Bestand passt. Nicht zuletzt sind es die Flächen in einem Gebäude, die verknüpft sind mit monetären Einheiten, sodass ihre Verlässlichkeit dauerhaft gewährleistet sein sollte.
Architekturvermessung ist also weit mehr als nur vermessen; Architekturvermessung steht synonym für das Modewort „Digitaler Zwilling“. Das ist ein neuer Name für eine alte Idee: die bauliche Welt zu modellieren und Fragen an das Bauwerk anhand des Modells zu beantworten.
Das IngenieurTeam2 hat sein Büro in einem ehemaligen Getreidespeicher.
Foto: IngenieurTeam2
Genau das treibt uns als IngenieurTeam2 seit 30 Jahren um. Die „2“ in unserem Firmennamen steht ja für die beiden Geschäftsfelder: die Vermessung von Architektur einerseits und andererseits der Umgang damit, also die Vorhaltung und die Pflege der Bestandsinformationen mittels digitaler Werkzeuge.
Ralph Heiliger: Wobei die Erfassung ein erster Schritt ist. Zum Bistum Fulda zählen rund 1.100 Gebäude, darunter Pfarrhäuser, Kindergärten, Schulen und selbstredend Kirchen. Wir haben uns riesig gefreut und sind sehr dankbar, als man uns vor ein einigen Jahren mit der Projektrealisierung betraut hat.
Wenn man über zwei Jahrzehnte mit Bistümern und Landeskirchen zusammenarbeitet, kennt man die kirchlichen Abläufe, und man beherrscht die kirchliche Fachsprache.
So haben wir uns zuerst mit dem Pastoralkonzept befasst. Das Pastoralkonzept beschreibt ja den künftigen Umgang mit den kirchlichen Immobilien und definiert damit die Ziele der Digitalisierung.
Diese Ziele sind bauplanerischer Natur, betreffen aber auch immobilienstrategische und wirtschaftliche Aspekte. Vor diesem Hintergrund ergeben sich die anzustrebenden Datenqualitäten – Qualität im Sinne der Eignung für das bestimmte Ziel.
Alle Vorarbeit dient letztlich dem Zweck sicherzustellen, dass sich mit der Digitalisierung die Handlungsfreiheit des Bistums erhöht.
Ralph Heiliger: Per Laserscanning. Jedes Gebäude wird gescannt. Der Laserscanner arbeitet dabei wie ein Fotoapparat, nur dass er statt eines zweidimensionalen Fotos ein dreidimensionales metrisches Bild erzeugt. Wenn Sie jeden Raum und jede Ecke „fotografieren“, können Sie Ihr Gebäude am Ende virtuell betreten, in der Bewegung die Raumabfolgen studieren und sogar Maße abgreifen.
Laserscan am Xantener Dom
Foto: IngenieurTeam2
Der Scan ist sozusagen der Rohstoff, aus dem die Antworten auf die Fragen an das Bauwerk hergeleitet werden: Kennzahlen, Baupläne, Flächen und vieles mehr.
Selbst die digitale Konservierung historisch wertvoller Bausubstanz ist mit Laserscanning möglich, wie wir das zuletzt eindrucksvoll am Beispiel der Pariser Notre Dame unter nicht so schönen Umständen erfahren haben.
Auch im Erzbistum Köln werden seit Jahren Abbruchkirchen gescannt und für die Nachwelt digital erhalten. Im Bistum Münster lässt man seit Anfang des Jahrhunderts jede von einer Baumaßnahme betroffene Kirche scannen. Nicht nur der Xantener Dom gilt inzwischen als digital gesichert, auch jede vermessene Dorfkirche.
Und so ist demnächst auch im Bistum Fulda der gesamte Immobilienbestand digital konserviert.
All diese Scandaten tragen das Etikett nachhaltig, denn solange das Gebäude steht und genutzt wird, stiften die Scans einen Nutzen über die kulturhistorische Sicherung hinaus.
Ralph Heiliger: Je nach Gebäudegröße und -kleinteiligkeit kann ein Gebäudescan zwischen 20 und 30 Gbyte ausmachen – und das bezogen auf ein herstellereigenes Datenformat.
Bestandszeichnung Xantener Dom: Querschnitt und Orthophoto
Quelle: IngenieurTeam2
Will man auf ein allgemeines Datenaustauschformat abstellen, wie beispielsweise E57, verzehnfacht sich leicht die Datenmenge. Bei 1.100 Gebäuden kommt da schon einiges zusammen.
Aber: Scans sind ja nicht das primäre Ziel. Sicher, es ist reizvoll, wenn man mittels Scans in eine Scheinwelt (Virtuell Reality) eintauchen kann. Aber Scans bilden zuerst einmal „nur“ den Rohstoff der eigentlichen Gebäudedokumentation.
Gebraucht werden Grundrisse mit Flächen, bei Bedarf Schnitte und Ansichten, auch 3D-Modelle, Gutachten zur Energie und der technischen Gebäudeausrüstung, Checks zur Verkehrssicherheit usw. Diese Ergebnisse zusammen machen nur einen Bruchteil der Datenmenge von Scans aus.
Liegen diese Ergebnisse vor, können die Scans archiviert werden. Es genügt zu wissen, dass man bei Bedarf jederzeit auf die Scans zurückgreifen kann. Aber sie müssen nicht im ständigen Zugriff sein.
Ralph Heiliger: Tatsächlich haben Anfragen bei verschiedenen Betreibern von Rechenzentren ergeben, dass die Kosten einer Datenvorhaltung zur Archivierung leicht im Sechsstelligen liegen – pro Jahr!
Bei diesen Beträgen muss man einmal innehalten und sich fragen, ob die Vorhaltung von Scans, die in der Regel nur am Anfang gebraucht werden und danach nur noch bei Bedarf, ob diese Archivierung mitsamt einer ständigen Backup-Prozedur nicht übertrieben ist.
Das beste Backup ist doch das Gebäude selbst. Solange es steht und genutzt wird, repräsentiert das reale Gebäude das Backup des Scans. Sollte also tatsächlich einmal ein Gebäudescan verlorengehen, scant man das Gebäude einfach neu. Der Aufwand hält sich in Grenzen: für eine gewöhnliche Dorfkirche, für ein Pfarrhaus, ein Pfarrheim maximal einen Arbeitstag. Da relativieren sich schnell die finanziellen Befürchtungen einer Datenarchivierung.
Ralph Heiliger: Es geht immer darum, die Handlungsfreiheit einer Organisation zu erhöhen.
Wie oft höre ich von Bauverwaltungen, dass man bei einer anstehenden Baumaßnahme tagelang mit Aktensuche beschäftigt ist, dass man in Archivschränken stöbert, bei Bauämtern nachfragt, um nach Wochen festzustellen: Es ist kaum etwas Brauchbares vorhanden, und das Wenige, das man gefunden hat, ist für die Planung nicht belastbar.
Im Bistum Fulda wird künftig jedes Gebäude, jede Information auf Fingerzeig abrufbar sein, und die Informationen werden vollständig und zweifelsfrei sein, also für jedwede Entscheidung belastbar.
Die Geschwindigkeit, mit der Informationen verfügbar sind, und die Verlässlichkeit der Informationen – das sind zwei Eckpfeiler der Handlungsfreiheit. Jedem Finanzdirektor muss das Herz höher schlagen bei dem Gedanken, auf diese Weise viel Zeit und damit viel Geld sparen zu können. Leider höre ich aber gerade von kleinen Organisationen, dass man nicht reich sei und sich eine Digitalisierung nicht leisten könne. Dabei gibt es heute schon Geschäftsmodelle, die gerade auf solche Organisationen zugeschnitten sind.
Es geht ja nicht um die Einführung mächtiger Softwaresysteme oder eines Facility Managements. Viele Organisationen haben bereits derartige Programme, und trotzdem sind die Gebäudedaten weder aktuell noch zweifelsfrei, zum Teil auch gar nicht vorhanden.
Gebäudedokumentation ist eben keine Teilmenge, die man über Fremdsysteme zu lösen glaubt. Vielmehr ist Gebäudedokumentation zuerst eine Ordnungsaufgabe bzgl. der Datenvorhaltung und ein Organisationsthema bzgl. der Datenpflege. Das können Sie auch mit Officeprodukten bewerkstelligen. Unter diesem Aspekt wird die Gebäudedigitalisierung auch für kleine und finanzschwache Immobilieneigner plötzlich machbar.
Ralph Heiliger: In der Tat arbeiten wir mit vielen Bistümern und Landeskirchen zusammen. Man sagt mir nach, das läge an meinem Namen. Aber wahr ist, dass er nicht schadet und mir in Gesprächen immer wieder versichert wird: Na, der passt ja.
Aber im Ernst: Natürlich finden sich auch Private und Landesbaubetriebe unter unseren Auftraggebern. Städte und Gemeinden haben dieselben Nöte wie die Kirchen. Wir arbeiten gerne mit Institutionen zusammen, die den Mut haben, Großes zu schaffen. Wichtig ist, eine Entscheidung zu treffen, sich etwas zu trauen. Nur dann kann sich die Handlungsfreiheit erhöhen.