Taxonomiekonform planen

ATP sustain über Wege zum klimafitten Gebäude

Michael Haugeneder, seit mehr als zehn Jahren Teil der Geschäftsleitung von
ATP sustain, spricht im Interview mit der COMPUTER SPEZIAL-Redaktion über
die Konsequenzen der Taxonomie- Verordnung.

Umweltschutz und Klimaneutralität in der Baubranche sind spätestens seit Inkrafttreten des EU-Green-Deals und seiner Taxonomie von der Kür zur Pflicht für Auftraggeber und Investoren geworden. Dipl.-Ing. Michael Haugeneder, TGA-Spezialist und Geschäftsleiter von ATP sustain, spricht im Interview über neue Methoden des zukunftssicheren Planens und Bauens.
Foto: ATP/Schaller
Umweltschutz und Klimaneutralität in der Baubranche sind spätestens seit Inkrafttreten des EU-Green-Deals und seiner Taxonomie von der Kür zur Pflicht für Auftraggeber und Investoren geworden. Dipl.-Ing. Michael Haugeneder, TGA-Spezialist und Geschäftsleiter von ATP sustain, spricht im Interview über neue Methoden des zukunftssicheren Planens und Bauens.
Foto: ATP/Schaller
COMPUTER SPEZIAL (CS): Herr Haugeneder, was zeichnet ein „klimafittes“ Gebäude aus?

Michael Haugeneder: Als Integraler Planer werfen wir immer einen ganzheitlichen Blick auf ein Gebäude. In Bezug auf Nachhaltigkeit und Klimatauglichkeit müssen wir alle Aspekte berücksichtigen: Das geht von der Planung und der Auswahl der Materialien über die Errichtung bis hin zum Betrieb. Wir wissen aber, dass hinsichtlich Ressourcenschonung und Energieeffizienz der größte Hebel in der frühen Planungsphase für die Einsparungen im Betrieb liegt. Daher sind wir überzeugt, dass der beste Weg zu einem zukunftssicheren und klimafitten Gebäude über eine lebenszyklusorientierte, digitale Integrale Planung führt.

CS: Zwar hat auch die Gebäudeerrichtung Einfluss auf das Klima, doch ein weitaus größerer Nachhaltigkeitsfaktor liegt im Betrieb. Wie kann die Planung darauf reagieren?

Michael Haugeneder: Als Sonderplanungs- und Forschungsgesellschaft für nachhaltiges Bauen innerhalb der ATP-Gruppe beschäftigen wir uns intensiv mit der Vernetzung der Informationen aus der datenbankorientierten Planung mit BIM. Daraus können wir Prognosen entwickeln, welche Entscheidungen, die in der frühen Planungsphase getroffen werden, welche Ergebnisse im Betrieb eines Gebäudes bewirken. Wir können gesicherte Aussagen über das Verhalten des Objektes in 20 oder 30 Jahren treffen.

CS: Wie weit ist die Planungsbranche in puncto Digitalisierung?

Michael Haugeneder: Die Digitalisierung ist bereits Realität, vor allem, weil die Ansprüche an die Planung enorm gestiegen sind. Eine Immobilie wird heute schon vor Errichtung auf Herz und Nieren geprüft. Jeder Auftraggeber muss sich mit ESG und nachhaltigem Investieren auseinandersetzen. Wir können mögliche Wege aufzeigen und richtige Antworten auf Zukunftsfragen liefern. BIM unterstützt uns dabei maßgeblich.

CS: Ein BIM-Modell zu erstellen und zu pflegen ist sehr aufwendig. Warum lohnt es sich trotzdem?

Michael Haugeneder: Die Planung mit BIM bedeutet zwar anfänglich einen erhöhten Aufwand, ist aber ein unverzichtbares Werkzeug, um eine Prognose über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes zu erstellen und um Transparenz in der Kommunikation und im Datenaustausch herzustellen. Und es lohnt sich, gerade in die frühe Planungsphase mehr Zeit zu investieren. Denn die intensive Beschäftigung mit dem Kernprozess des Gebäudes bereits zu Beginn garantiert uns schlanke Prozesse und reibungslose Abläufe sowie einen nachhaltigen Betrieb, in dem sicher das größte Potenzial für CO2-Einsparungen, Ressourcenschonung und Vermeidung von Verschwendung liegt.

CS: Architekten und Ingenieure arbeiten bei ATP simultan im BIM-Modell. Wo liegt der Nutzen dieser Arbeitsweise?

Michael Haugeneder: Die Integrale Planung bei ATP architekten ingenieure bietet uns als ATP sustain die Chance, gemeinsam mit allen Fachdisziplinen gleichberechtigt am Datenmodell zu arbeiten und alle auf demselben Informations- und Planungsstand zu sein. Dadurch minimieren wir Fehler und optimieren Schnittstellen im laufenden Prozess. Wenn wir mit einem Planungsteam zusammenarbeiten, das nicht unter einem Dach zusammensitzt, sondern in wirtschaftlich eigenständigen Einheiten getrennt operiert, ist der Austausch der Daten eine größere Herausforderung. Hier ist der Auftraggeber viel stärker gefordert, diesen im Vorfeld zu systematisieren, festzulegen und mit den Planungspartnern zu vereinbaren.

CS: Verändert die Digitalisierung auch die Anforderungen an Ihr Team bei ATP sustain?

Michael Haugeneder: Mit den digitalen Möglichkeiten, lebenszyklusorientierter Planung und EU-Taxonomie kommen neue Herausforderungen und komplexe Aufgaben auf uns zu. Dadurch ändern sich auch die Mitarbeiter-Anforderungen in der Bearbeitung solcher Projekte massiv. Neben der fachlichen Qualifikation bedarf es einer neuen Teamstruktur und eines neuen Verständnisses der Kooperation. Offene und transparente Kommunikation ist wesentlicher Bestandteil der datenbankorientierten Planung.

CS: Wie schwierig ist es, qualifizierte Planer für solche Teams zu finden?

Michael Haugeneder: Viele Fachkräfte mit Erfahrung, guter Ausbildung und Motivation haben die neuen Planungs- und Kollaborationsmethoden noch nicht erlernt. Wir versuchen, sie in unsere Teams so zu integrieren, dass wir unsere Aufgaben zu einem Erfolg führen können. Wir möchten Mitarbeiter aus allen Altersschichten und Erfahrungsebenen mit unterschiedlichen Ausbildungen für unser Unternehmen gewinnen und gemeinsam den veränderten Planungsprozess umsetzen. Das Spannende und Motivierende ist, dass wir im Hinblick auf Folgekosten, Umweltauswirkungen, relevante Fragestellungen zur Immobilienentwicklung über den gesamten Lebenszyklus in einem großen, kreativen Feld arbeiten, das nur durch die Digitalisierung und transparente Integrale Planung möglich ist.

CS: Herr Haugeneder, bei der Taxonomie-Verordnung geht es darum, die Kapitalflüsse nachhaltiger zu gestalten. Wie genau soll dies erreicht werden?

Michael Haugeneder: Die Taxonomie-Verordnung ist im Prinzip der technische Rahmen für die Umsetzung des EU-Green-Deals. Sie beschreibt – zum ersten Mal! –, dass nichtfinanzielle Qualitäten offengelegt werden müssen, und zwar in jeder Branche. Bis jetzt gibt es nur eine Offenlegungspflicht über finanzielle Auswirkungen: Alle, die im Kapitalmarkt unterwegs sind (Banken, Versicherungen, etc.), müssen darstellen, wie sich das Finanzielle gestaltet, welche Risiken und Sicherheiten sich daraus ergeben. Das Großartige an der Taxonomie-Verordnung ist, dass die Kapitalwirtschaft der größte Hebel unseres Wirtschaftssystems ist und daher auch der stärkste, um den EU-Green-Deal tatsächlich umzusetzen. Die Offenlegungspflicht nichtfinanzieller Qualitäten – also ökologische und nachhaltige – führt dazu, dass man sich nun intensiver damit auseinandersetzt. Immer wenn Dinge offengelegt und plötzlich messbar gemacht werden, ergeben sich neue Handlungsfelder und -ziele.

CS: Wie sehen Sie diese „Spezialthemen“ Ökobilanz oder Lebenszykluskosten?

Michael Haugeneder: In der Vergangenheit wurden solche Sonderfragestellungen immer in Verbindung mit Gebäudezertifizierungen gebracht. Aufgrund der Veränderungen im Planungsprozess sind diese Sonderleistungen nicht mehr bloß Nachweisdokumente für Zertifizierungen, sondern wesentliche Werkzeuge für die Entscheidungsfindung in frühen Planungsphasen. Durch die Einführung der EU-Taxonomie und der Anforderung, bei jedem Objekt eine Ökobilanz durchzuführen, rückt erstmals ein wesentliches, nicht finanzielles Qualitätsmerkmal eines Gebäudes, nämlich die Klimaauswirkung (CO2), in den Vordergrund. Als Sonderplanungsgesellschaft für nachhaltiges Bauen arbeiten wir in interdisziplinären Teams daran, genau solche Themenfelder in die Planung zu implementieren. Und dies nicht als Add-On-Nebenprodukt einer Zertifizierung, sondern als integralen Bestandteil in der Entscheidungsfindung für die Planung zu etablieren. Das ist für uns erst durch den hohen Digitalisierungsgrad möglich. Die Datenverfügbarkeit in frühen Planungsphasen und der Einsatz von spezieller Software erlaubt uns, hier Prognosen über den Gesamtlebenszyklus eines Gebäudes abzugeben. Uns ist klar, dass zukünftig Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Ressourcenschonung fixe Planungsparameter und damit Teil des standardisierten Planungs- sowie Errichtungsprozesses sein werden. Wir haben also noch viel zu tun!

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