Form follows Software
Das Generative Design verändert nicht nur die Form von Bauwerken und Designobjekten, sondern auch Entwurfs-, Planungs- und Fertigungsprozesse. Völlig neue Möglichkeiten eröffnet die KI.
Neue Designwerkzeuge ermöglichen die Planung des Unplanbaren und verändern das Erscheinungsbild von Bauwerken …
Bild. Bentley Systems, Entwurf: Arup
„CAD: Architektur automatisch?“ war eine der zahlreichen Buch- und Magazinpublikationen, die sich in den 1980er Jahren tendenziell kritisch mit dem Computereinsatz in der Architektur beschäftigt haben. Schnell sind die Ängste vor einer automatisierten Architektur verflogen, weil CAD in den Büros zunächst nur als „digitales Zeichenbrett“ genutzt wurde. Das hat sich mit der modellorientierten Planung inzwischen geändert. Dreidimensionale, früher vorwiegend im Produktdesign, Flugzeug- oder Automobilbau verwendete CAD-Objekte wie NURB-Splines hielten sukzessive auch in der Architekturplanung Einzug. Mit diesen mathematisch definierten Kurven oder Flächen ließen und lassen sich relativ einfach wahlweise konkave oder konvexe, weich fließende oder kantige, einfach oder mehrfach gekrümmte Flächen modellieren. Noch mehr Gestaltungsfreiheit bietet das „Generative Design“.
…und schaffen eine bisher unbekannte Formenfreiheit.
Bild: Bentley Systems
Es eröffnet in der Architektur- und Bauplanung bisher unbekannte Möglichkeiten bei der Formfindung und Gestaltung, die – im Kontext mit KI-Werkzeugen – den nächsten Schritt hin zu einer „automatisierten Architektur“ nicht mehr groß erscheinen lassen.
Werkzeuge für mehr Gestaltungsfreiheit
Individuelle Treppen lassen sich parametrisch generieren und modifizieren ...
Bild: Bentley Systems
Die gerade Linie, die ebene Fläche oder der rechte Winkel ist nicht nur ein Stilmittel moderner, rationeller Architektur, sondern teilweise auch auf die Beschränkungen von Planungswerkzeugen, Produktions- und Montageverfahren zurückzuführen. Bauteile mit geraden Kanten, ebenen Flächen und rechtwinkligen Anschlüssen lassen sich nicht nur einfacher fertigen und zu einem Gebäude zusammenfügen, sondern auch planen. Parametrische 3D-Modellierwerkzeuge heben diese Beschränkungen auf. Sie ermöglichen es auch CAD-Laien, frei geformte 3D-Objekte relativ einfach digital zu generieren. Dahinter steckt ein neuer Ansatz zur Beschreibung dreidimensionaler Formen: Komplexe 3D-Objekte werden nicht – wie in herkömmlichen CAD-Programmen üblich – durch eine Verschneidung geometrischer Grundkörper oder ein Netz von Dreiecken, Punkten oder Flächen konstruiert, sondern durch mathematische Funktionen beschrieben. Das Gestaltungsergebnis wird durch vom Anwender in grafischer Form modifizierbare Softwarealgorithmen eines Computerprogramms erzeugt.
… ebenso wie Möbel oder Designobjekte.
Bild: Responsivedesign
Inzwischen haben sich die auf mathematischen Algorithmen basierenden Gestaltungsprogramme zu einer eigenständigen Softwaregattung entwickelt, die einer individuellen Formensprache praktisch keine Grenzen mehr setzt. In vielen Kreativbereichen spielt die Generative Gestaltung daher eine immer größere Rolle. Gerade die junge Designergeneration, quasi die „Generation Generative“, lässt sich von den nahezu unbegrenzten Gestaltungsmöglichkeiten inspirieren und sorgt mit ihrem Enthusiasmus sogar für neue Designtrends in der Architektur und Innenarchitektur, im Holz-, Stahl- und Metallbau, im Fassaden-, Möbel-, Treppen- oder Messebau.
Was ist Generatives Design?
Objekte oder Strukturen werden über mathematische Funktionen beschrieben, …
Bild: Allplan
Unter dem englischen Begriff „Generatives Design“ (auch: Generative Gestaltung oder parametrisches Design) versteht man einen Gestaltungsprozess, bei dem das Ergebnis durch einen Algorithmus in Form eines Computerprogramms generiert wird. Werden die nach einem bestimmten Schema ablaufenden Rechenvorgänge mit anderen regelbasierten Prozessen überlagert, sind Eingriffsmöglichkeiten zur experimentellen Veränderung der Objektparameter möglich. Das erzeugt innerhalb geordneter Strukturen ein vom Anwender gewünschtes „kreatives Chaos“, das die Gesamtform interessanter macht und neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Dadurch lassen sich in einem quasi experimentellen Prozess neue Formen entwickeln, beispielsweise organische oder bionische, von der Natur inspirierte Strukturen, die mit herkömmlichen Mitteln wie dem Modellbau oder der konventionellen 3D CAD-Konstruktion nicht oder nur sehr umständlich und zeitaufwendig realisierbar wären.
… die über individuelle Eingriffe Formveränderungen ermöglichen.
Bild: Autodesk
Die dahinter stehenden mathematischen Modelle sind komplex, die Programmbedienung ist relativ einfach: Die Gestalt und Form wird durch die Eingabe und Modifikation alphanumerischer Parameter oder durch die Manipulation grafischer Parameter (Visual Scripting) definiert. Dadurch können auch Anwender ohne Programmiererfahrung selbst extrem komplexe Gestaltungsideen realisieren. Ein wesentlicher Vorteil der parametrischen Konstruktion ist, dass bislang auch unplanbare Formen realisiert und abgebildet werden können. Da nicht einzelne Geometrien, sondern komplette Generierungsprozesse beschrieben werden, führen Änderungen bei einer Systemkomponente automatisch zu Änderungen bei allen, mit ihr verknüpften Komponenten. Damit lassen sich auch sehr komplexe Strukturen mit nur wenigen Mausklicks relativ einfach und so lange modifizieren, bis man die gewünschte Form erhält.
Über mehrere Fensteransichten hat man das Designobjekt stets im Griff.
Bild: Bentley Systems
Durch die Kombination leicht veränderter Operationen ist eine praktisch unbeschränkte Formen- und Konstruktionsvielfalt möglich. Nicht nur der Design-, auch der Entscheidungsprozess lässt sich rationalisieren und beschleunigen, denn die Gestaltung, Konstruktion und Präsentation ist mit demselben Programm möglich. Die dabei entstandenen Objekte lassen sich alternativ über 3D-Desktopdrucker als Modell oder als Prototyp im Maßstab 1:1 ausgeben.
Generatives Design fertigen
Das „Generative Design“ verändert auch die Fertigung. Neben aufwendigen Produktionsverfahren sind große Materialverluste und aufwendige Montageverfahren bisher ein wesentlicher kostentreibender Faktor komplex geformter Bauteile und Bauwerke. Numerisch gesteuerte Fertigungsverfahren (CNC/CAM) und additive Fertigungstechniken (3D-Druck) ergänzen das „Generative Design“ deshalb in idealer Weise. 3D-Drucker etwa können auch sehr schwierige, filigrane Bauteilformen praktisch ohne Materialverlust und auch in geringen Stückzahlen wirtschaftlich fertigen. Im Unterschied zu konventionellen Herstellungsverfahren werden Objekte dabei nicht durch Umformen, Trennen oder Zerspanen eines Werkstücks, sondern additiv aus einem flüssigen, pulverförmigen oder festen Ausgangsmaterial aus Kunststoff, Kunstharz, Keramik, Metall oder anderen Materialien mit Hilfe chemischer und/oder physikalischer Prozesse Schicht für Schicht aufgebaut. So können mit konventionellen Methoden nicht oder nur sehr aufwendig herzustellende Objekte realisiert werden.
Verfügt Architektur-CAD über parametrische Gestaltungsfunktionen, lassen sich beispielsweise Fassaden einfacher individuell gestalten.
Bild: Graphisoft
3D-Druckobjekte sind mehrfach reproduzierbar und in Kleinserien bis zu einer bestimmten Stückzahl wirtschaftlicher als konventionell hergestellte Produkte. Das gilt insbesondere für komplexe Objekte, denn die Wirtschaftlichkeit additiver Fertigung steigt mit der Komplexität der Objektform. Da die Überführung der Geometriedaten in Fertigungsdaten viel Know-how erfordert, haben sich inzwischen einige Unternehmen auf die parametrische Planung und digitale Produktion spezialisiert, beispielsweise Design-to-Production.
KI erweitert die Möglichkeiten
Der Entwurfsprozess ist sowohl ein kreativer Vorgang, bei dem zahlreiche Randbedingungen, formale und ästhetische Anforderungen ebenso berücksichtigt werden müssen, wie die Vorgaben von Normen und Richtlinien, der Bautechnik des Baurechts, des verfügbaren Budgets und so weiter. Die Entwurfsarbeit umfasst aber auch eine „mechanische“, sich wiederholende Komponente, bei der ständig Entwurfsvarianten entwickelt, bewertet, verworfen oder weiterentwickelt werden.
In Verbindung mit der KI ermöglicht das parametrische Design auch eine Optimierung von Entwürfen.
Bild: Autodesk
Der Computer und auf Grundsätzen der Künstlichen Intelligenz (KI) basierende Algorithmen sind in der Lage, sowohl kreative als auch mechanische Entwurfsabläufe zu unterstützen. Werden die auf der Grundlage von anwenderdefinierten Parametern und regelbasierten Prozessen ablaufenden Vorgänge des Generativen Entwerfens mit Algorithmen der KI, respektive des maschinellen Lernens verknüpft, lassen sich komplexere Entwurfsvorgaben berücksichtigen und die Anzahl der Entwurfsvarianten steigern, womit sowohl Designprozesse beschleunigt als auch die Qualität der Ergebnisse optimiert werden können. Auch die Zusammenarbeit zwischen den projektbeteiligten Architekten, Fachingenieuren, Bauherren und Kunden lässt sich verbessern, weil Änderungswünsche und entsprechende Designalternativen sehr schnell und quasi „live“ realisiert werden können. So kann beispielsweise während einer Besprechung eine Änderung am Entwurf sofort vorgenommen und auch gleich diskutiert werden. Das beschleunigt Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse erheblich.
Was bietet der Markt?
Wer mehr Freiheit beim Gestalten ungewöhnlicher Geometrien jenseits der herkömmlichen Formensprache erwartet, muss aktuell auf spezielle parametrische 3D-Modelliersoftware zurückgreifen. Lediglich einige CAD-Programme für die Architektur-/Innenarchitektur-, Holz-, Stahl-/Metallbau- oder Fassadenplanung verfügen über entsprechende Basisfunktionen oder Module, beispielsweise „Allplan“, „Apollon“, „Archicad“, „Revit“ oder „Vectorworks“. Auf das parametrische Design spezialisierte Programme wie „Generative Components“, „Grashopper“ oder „Rhino“ bieten eine umfangreiche Palette an Funktionen für das „Generative Design“, die Konstruktion und Darstellung. Darüber hinaus ist über entsprechende Plugins oder Skripts teilweise auch eine Berechnung und energetische, bauphysikalische oder statische Optimierung der entworfenen Strukturen und Objekte möglich. Allerdings sind bauspezifische Funktionen nur eingeschränkt enthalten und auch die Möglichkeit der direkten Daten-Weiterbearbeitung oder Auswertung über bauspezifische Programme sind eingeschränkt. Alternativ ist eine Datenübergabe per DXF, IGES, STEP, VRML, IFC und andere Schnittstellen möglich, was jedoch Informationsverluste und eine Daten-Nachbearbeitung zur Folge hat.
Sowohl die Überführung der Geometriedaten in Fertigungsdaten als auch die Fertigung selbst erfordert viel Know-how und
Erfahrung.
Bild. Autodesk
Im Folgenden werden einige Programme beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit vorgestellt. Die Softwarepreise liegen zwischen 1.000 und 5.000 € und darüber. Das von Bentley Systems entwickelte Modelliersystem „Generative Components“ wurde speziell für Kreativberufe entwickelt. Damit lässt sich jede Art von Freiformarchitektur mithilfe algorithmischer Formeln beschreiben. „GenerativeComponents“ ist direkt in das bauspezifische CAD-Paket von „MicroStation“ eingebunden. „Rhino“ von McNeel verfügt über Stärken bei der Modellierung von 3D-Freiformflächen. Dazu kann das Programm nicht nur Kurven, Volumenkörper, Polygonnetze, Punktewolken etc. generieren, was freie Formen oder komplexe Konstruktionen ermöglicht. Mit der kostenlosen „Rhino“-Erweiterung „Grasshopper“ lassen sich zusätzlich komplexe Strukturen mithilfe von Variablen visuell programmieren. Damit können auch Designer ohne Programmier- oder Skriptkenntnisse neue Formen mit generativen Algorithmen erzeugen. „Revit“ von Autodesk ermöglicht über die Scriptsprache „Dynamo“ die visuelle Programmierung den Entwurf komplexer, parametrisch strukturierter Geometrien.
Der Computer wird zum Designwerkzeug
Der PC und entsprechende Software sind längst nicht mehr nur Planungs- und Konstruktions-, sondern zunehmend auch Entwurfs- und Designwerkzeuge. Das parametrische Design und entsprechende Funktionen verleihen der Kreativität des Anwenders sogar neue Freiräume und in Verbindung mit KI-Techniken auch neue Anwendungsmöglichkeiten – etwa bei der Optimierung der TGA- oder Stadtplanung, wo immer mehr Vorgaben und unterschiedliche Einflüsse berücksichtigt werden müssen. Die neue Generation von Konstruktionswerkzeugen verändert nicht nur die Form und Gestalt, Entwurfs- und Planungsprozesse, sondern auch die Produktion von Bauteilen und die Realisierung von Bauwerken. Planerisches Know-how wird dadurch keineswegs überflüssig, aber Planer müssen lernen, mit den neuen Werkzeugen und Möglichkeiten umzugehen.
Produkte und Anbieter*
Revit www.autodesk.de/products/revit/features
GenerativeComponents www.bentley.com/gc
Rhino/Rhino Script www.de.rhino3d.com
Grasshopper www.grasshopper3d.com
Literaturhinweise*
Bohnacker, H./Groß, B./Laub, J., Lazzeroni, C. (Hrsg.): Generative Gestaltung, Verlag Hermann Schmidt, Mainz, 2009 (www.generative-gestaltung.de)
Hauschild M., Karzel R.: Digitale Prozesse. Planung, Gestaltung, Fertigung, Institut für Internationale Architektur-Dokumentation, München, 2010
Palz, N.: Digitales Entwerfen und Konstruieren in der Architektur. Grundlagen, Werkzeuge, Beispiele, Springer, Heidelberg, 2022
* Auswahl, ohne Anspruch auf Vollständigkeit