Im Gespräch mit Lejla Secerbegovic
Von der ersten Planung einer Grundstücksbebauung bis zur idealen Aufstellung von Schreibtischen im Büro bietet generatives Design ein breites Anwendungsfeld. Darüber hat sich die Redaktion von Computer Spezial mit Lejla Secerbegovic, Technical Sales Specialist AEC bei Autodesk, online unterhalten.
Computer Spezial: Es gibt eine Vielzahl an neuen Themen am Bau, die man als Digitalisierung im Bauwesen zusammenfassen kann. Eines dieser Themen ist generatives Design. Was ist das Besondere daran?
Lejla Secerbegovic: Es geht um eine besondere Form von Künstlicher Intelligenz (KI). Dabei wird eine Evolution, eine Entwicklung, anhand vorgegebener Regeln simuliert. Der Planer gibt dazu feste Vorgaben und Variablen vor sowie die Ziele eines Projekts. Daraus generiert das Programm dann eine Vielzahl an Vorschlägen.
Ich mache das mal an einem aktuellen Beispiel fest: Im Rahmen der Corona-
Pandemie müssen zahlreiche Innenräume in Bürogebäuden, Restaurants und weitere Orte mit großem Publikumsverkehr neu gestaltet werden. So brauchen Schreib- oder auch Restauranttische einen neu definierten Mindestabstand. Mit dem generativen Design kann der Planer die Größe der Tische und Mindestabstände fest vorgeben sowie weitere relevante Daten als Variablen hinzufügen. Anhand dieser Vorgaben wird die KI verschiedene Platzierungen durchrechnen. Das Resultat: Viele alternative Vorschläge, die der Planer dann durchsehen und weiter einschränken kann – bis er final die beste Lösung haben wird.
Computer Spezial: Können auch weitere Vorgaben, wie z.B. die Bildschirm-Arbeitsplatzverordnung hinterlegt werden?
Lejla Secerbegovic: Aber sicher. Alle Berechnungen, die zusätzlich berücksichtigt werden sollen, können mit einfachen mathematischen Formeln bzw. Regeln hinterlegt werden. Diese und weitere Vorgaben müssen einfach logisch beschrieben werden. Mit diesem Ansatz ist der generative Design-Algorithmus in der Lage, verschiedene Lösungsmöglichkeiten zu berechnen. Der Algorithmus selektiert dann die eigenen Entwürfe bereits vor. Er analysiert die bisherigen Ergebnisse, bewertet sie und verbessert die ersten Varianten in einem iterativen Durchgang mehrmals bis zur gewünschten Generation und verfeinert so seine eigenen Lösungen. Die resultierenden Ergebnisse werden dann visualisiert.
Computer Spezial: Nimmt generatives Design Planern und Architekten die Arbeit weg?
Lejla Secerbegovic: Nein. Aber generatives Design unterstützt Planer und Architekten dabei, das passende Design zu finden. Sie werden davon entlastet, zahlreiche Skizzen mit zahllosen Möglichkeiten erstellen zu müssen. Mit dem generativen Design ergibt sich ein Pool an Lösungen, die die verschiedenen Ziele in unterschiedlicher Gewichtung berücksichtigen. Diesen Algorithmus haben wir in „ Autodesk Revit 2021“ eingebaut und Beispiele hinterlegt, die Nutzer ohne Scripting oder Programmierung nutzen können. Darauf aufbauend können Nutzer eigene Beispiele mit „Dynamo“ (Visual Scripting in Revit) auch ohne Programmiererfahrung über visuelle Zusammenhänge logisch zusammenfügen.
Computer Spezial: Wo lässt sich generatives Design einsetzen?
Lejla Secerbegovic: Da kann ich Ihnen ein schönes Beispiel nennen. Wir haben die Räume in unserem Büro in Toronto mit generativem Design geplant. Dabei haben wir u.a. auch die Arbeitsstile der Mitarbeiter berücksichtigt. Darüber hinaus wurden die Mitarbeiter befragt, ob sie etwa lieber allein im Büro sitzen wollen oder in einem Gruppenbüro. Weitere Fragen drehten sich um die Bedeutung von Meetingräumen, Plätzen für informelle Treffen und um die Themen Tageslicht und der Aussicht nach draußen. Daran anschließend wurde das Büro mit generativem Design so geplant, dass möglichst viele der Vorgaben eingehalten werden.
Im Anschluss an die Umsetzung wurden Studien zur Mitarbeiterzufriedenheit durchgeführt. Das Resultat hat gezeigt, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Die Mitarbeiterzufriedenheit und -produktivität sind gestiegen.
Computer Spezial: Wo kann generatives Design noch genutzt werden?
Lejla Secerbegovic: Wir haben beispielsweise Kunden, die generatives Design für die Planung im Städtebau oder auch im Fertigbau einsetzen. Denn in diesen Bereichen geht es in der Regel um vorgegebene Grundstücksflächen, die möglichst optimal bebaut werden sollen. Dabei soll beispielweise die maximal bebaubare Fläche ebenso ausgenutzt werden, wie die ideale Ausrichtung von Gebäuden oder Gärten. Auch hier kann der Planer die entsprechenden Bebauungsrichtlinien in Form von Formeln und Logiken einfließen lassen. Es lassen sich dann wieder unterschiedliche Szenarien durchrechnen, die verschiedene Alternativen aufzeigen, die diese Vorgaben berücksichtigen.
Genauso lässt sich das Vorgehen bei der Planung der Technischen Gebäudeausrüstung anwenden, um z.B. die optimale Anzahl und Lage von Lüftungsauslässen zu berechnen.
Computer Spezial: Der Workflow bleibt also immer gleich?
Lejla Secerbegovic: Genau. Mit generativem Design lässt sich z.B. genauso gut die optimale Position eines Krans im Rahmen der Baustelleneinrichtungsplanung ermitteln.
Dabei werden die Regeln so festgelegt, dass das generative Design alle möglichen Positionen des Krans in Bezug auf die Hubkraft und Auslegung auswertet, so dass die optimale Position ermittelt werden kann. Auf diese Weise kann vermieden werden, dass der Kran zu oft umgesetzt werden muss.
Dazu müssen die Bauteile verständlicherweise bereits in einem BIM-Modell vorliegen und idealerweise mit Maßen und Gewichten versehen sein.
Computer Spezial: Damit kommen wir dann in der Digitalisierung im Bauwesen hoffentlich einen großen Schritt weiter.
Lejla Secerbegovic: Eine digitalisierte Bauindustrie würde definitiv einen Produktivitätsschub für die Branche bedeuten.
Wird beispielsweise generatives Design in „Autodesk Revit 2021“ aktiv in den Planungsprozess eingebunden, hat das innerhalb des gesamten Projekts enorme Effekte hinsichtlich Produktivität und Zuverlässigkeit.
Computer entwickeln sich immer mehr von einem „digitalen Zeichenstift“ zu einem intelligenten Mitspieler, der uns Aufgaben abnimmt. Als Softwarehersteller sehen wir hier ein großes Potential.
Computer Spezial: Vielen Dank für das interessante Gespräch.
Generatives Design
Generatives Design, auch generative Gestaltung genannt, ist ein Prozess, bei dem unterschiedliche Entwurfs- oder Konstruktionsvarianten erkundet werden. Dabei formulieren Designer, Entwickler oder Ingenieure zunächst das gestalterische Ziel und geben dieses zusammen mit einer Reihe verschiedenster Parameter, darunter etwa Leistung, räumliche Gegebenheiten, Material, Fertigungsverfahren oder Kostenziele, in die Generative-Design-Software (https://www.autodesk.de/solutions/generative-design) ein. Die Software rechnet nun durch Kombination der Eingabeparameter sämtliche mögliche Lösungen durch und generiert so in kürzester Zeit eine Reihe von Entwurfsalternativen. Schließlich testet die Software jede einzelne dieser Iterationen und ermittelt, was funktioniert und was nicht.