Wie Nachhaltigkeitsaspekte fester Teil des Vergabeprozesses werden
Interview zur aktuellen Marktsituation von Ökobilanzen, Lebenszyklusanalysen und CO2-ÄquivalenzwertenNeben rein ökonomischen Faktoren gewinnen auch ökologische Aspekte in Vergabeverfahren mehr und mehr an Relevanz, mit dem Ziel, nachhaltige Bauleistungen verstärkt zu fördern. Andreas Haffa, Head of Development bei der Softtech GmbH, zeigt die gesteigerte Relevanz von Ökobilanzen, Lebenszyklusanalysen und CO2-Äquivalenzwerten auf und gibt außerdem konkrete Einblicke, wie eine praktische Umsetzung aussehen könnte. Als Mitglied der Fachgruppe modellbasierte Mengen- und Kostenermittlung bei buildingSMART Deutschland und des Arbeitskreises Datenaustausch, Arbeitsgruppe CO2 und Nachhaltigkeit im Bundesverband Software und Digitalisierung im Bauwesen (BVBS), treibt der Experte die für die Branche wichtigen Transformationsprozesse nicht nur im eigenen Softwarehaus, sondern auch herstellerübergreifend aktiv voran.
COMPUTER SPEZIAL (CS): Herr Haffa, die Baubranche hat nicht den besten Ruf, was Nachhaltigkeit angeht. Beton und Zement gelten als große Verursacher von CO2-Emissionen. Was kann der Bau tun, um hier interessanter für nachhaltiges Bauen zu werden?
Andreas Haffa:
Andreas Haffa ist Head of Development bei der Softtech GmbH sowie Mitglied der Fachgruppe modellbasierte
Mengen- und Kostenermittlung bei buildingSMART Deutschland und des Arbeitskreises Datenaustausch, Arbeitsgruppe CO2 und Nachhaltigkeit im BVBS.
Bild: Softtech GmbH, Andreas Haffa
Die Bauindustrie ist für rund 38 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Eine wesentliche Rolle spielt der Energieverbrauch für Herstellung, Transport und Verarbeitung von Baustoffen. Insbesondere Beton und Zement gelten als Hauptverursacher der Emissionen. Zentrale Herausforderungen, die die Wertschöpfungskette Bau in nächster Zeit zu meistern hat, sind somit ein verstärkter Einsatz umweltfreundlicher Baumaterialien, die Förderung von Recyclingprozessen und last but not least ein Minimieren des Energieaufwands während des Bauens. Innovative Vergabeverfahren, bei denen ökologische Eigenschaften als zentrale Bewertungskriterien berücksichtigt werden, sind eine Option, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Ökobilanzen, Lebenszyklusanalysen (LCA) sowie die Bestimmung von CO2e-Äquivalenten spielen hierbei eine immer größere Rolle.
CS: Wie lassen sich Nachhaltigkeitsinformationen konkret in den Vergabeprozess integrieren?
Andreas Haffa: Das ist nicht ganz so einfach, denn Vergabeverfahren innerhalb der Bundesrepublik Deutschland sind komplex und umfassen immer mehrere Phasen in einem Bauprojekt: Sie reichen für gewöhnlich von der Planung über die Ausschreibung und Angebotsbewertung bis hin zur Auftragsvergabe. Traditionell liegt der Fokus auf rein ökonomischen Aspekten, wie bspw. des Preis-Leistungsverhältnisses. Für die Zukunft ist es entscheidend, Nachhaltigkeitskriterien zusätzlich in diese Bewertung mit einfließen zu lassen. Eine Möglichkeit, um nachhaltige Bauleistungen verstärkt zu fördern. Zuschlagskriterien können die Verwendung von recycelbaren Materialien, die Energieeffizienz des Bauwerks oder der Einsatz von emissionsarmen Baustoffen sein. Zusätzlich sollte der CO2-Fußabdruck eines Bauprojekts mit aufgenommen werden, denn dieser umfasst neben der Herstellphase den Bau selbst und nicht zuletzt den Rückbau.
CS: Der CO2-Äquivalenten-Schattenpreis – oder kurz gesagt CO2e-Schattenpreis – als Richtwert erlangt immer größere Bekanntheit. Inwiefern kann damit der Anreiz für klimaschonende Baumaßnahmen gesteigert werden?
Andreas Haffa: Mit dem CO2e-Schattenpreis lassen sich Klimafolgekosten eines Bauprojekts konkret monetär bewerten. Kosten, die in einer klassischen Kostenberechnung oftmals nicht berücksichtigt werden. Mittels CO2-Äquivalenten kann das Treibhauspotenzial über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks in allen Phasen ermittelt werden. Als Schlüsselansatz gilt die systematische Bewertung der Emissionen nach der DIN EN 15978, eine Norm speziell für das Thema Nachhaltigkeitsbewertung. Der CO2e-Schattenpreis macht somit genau diese Kosten transparent und kann dabei unterstützen, dass Angebote mit niedrigeren Emissionen im Vergabeverfahren bevorzugt werden. Zusätzlich können die Bieterverfahren angepasst werden, damit mögliche technologische Kompetenzen einzelner Unternehmen besser genutzt und in Form von Nebenangeboten eingebracht werden. Überhaupt ist es entscheidend, beim Thema nachhaltiges Bauen die unterschiedlichen Rollen von Auftraggeber und Aufragnehmer bei der CO2-Bilanz zu berücksichtigen. Während der Auftraggeber die übergeordnete Ökobilanzierung eines Bauprojekts verantwortet, müssen Auftragnehmer sicherstellen, dass sie immerzu sämtliche Angaben zu den von ihnen verursachten Emissionen in Form von CO2-Äquivalenten machen.
CS: Welche Rolle spielen Sanktionierungen und Zertifizierungen, wie bspw. das Qualitätssiegel nachhaltiges Gebäude – kurz QNG?
Andreas Haffa: Ich glaube, dass sich Verträge und Vertragspflichten verändern und Nachhaltigkeitsaspekte fester Bestandteil der Bauvergabe werden. So könnten maximal zulässige CO2-Emissionswerte zu einer wesentlichen Auftragspflicht des Auftragnehmers werden. Die Verträge sollten daher künftig um klare Leistungsbeschreibungen und technische Anforderungen erweitert werden und auch Sanktionen bei Nichterfüllen können eine Rolle spielen, wenn bspw. eine erstrebte QNG-Zertifizierung aufgrund zu hoher Emissionswerte nicht erreicht wird. Zertifikate wie diese rücken immer stärker in den Fokus. Sie werden lediglich dann verliehen, wenn jegliche ökologische Standards, wie etwa die Begrenzung von CO2-Emissionen, eingehalten werden. Der Verlust eines solchen Zertifikats kann zudem erhebliche finanzielle Einbußen für die Auftraggeberseite bedeuten. Ziel sollte sein, dass beide Seiten stets maximal motiviert sind, die Zertifizierung nicht zu gefährden.
CS: Ist BIM ein adäquates Mittel, um Nachhaltigkeitsinformationen mit dem Planungsprozess zu verzahnen? Auf welche Weise werden Klimadaten und Umweltauswirkungen fester Bestandteil des BIM-Prozesses?
Andreas Haffa: BIM gilt zwischenzeitlich als zentrales Planungs- und Steuerungsinstrument innerhalb der Baubranche. Die Methode bietet die Möglichkeit, Nachhaltigkeitsaspekte in Form einer sechsten Dimension durchgängig in den Planungsprozess zu integrieren; begonnen in der Planungssoftware über spezifische Berechnungstools bis hinein in die AVA-Programme und deren weitreichende Prozesse. Da BIM die Grundsteine für umfassende Analysen des Lebenszyklus eines Bauwerks legt, kann die Arbeitsweise dabei unterstützen, Maßgebliche Treiber von CO2-Emissionen frühzeitig zu identifizieren und damit zu reduzieren.
CS: Kommen wir zur Praxis. Wie lassen sich Nachhaltigkeitsaspekte sinnvoll und praktikabel innerhalb einer AVA-Software abbilden?
Andreas Haffa: Idealerweise sollten AVA-Systeme in der Lage sein, Nachhaltigkeitsaspekte, wie CO2-Äquivalente, auf Teilleistungs- und Teilmengenebene abzubilden. Auf diese Weise können Emissionswerte im Rahmen der Angebotsverfahren detailliert bewertet werden. Eine Idee ist außerdem die Anbindung von Datenbanken, wie die ‚ÖKOBAUDAT‘ an AVA-Programme, damit ökologische Kriterien in der Bauplanung und im gesamten AVA-Prozess transparent dargestellt werden können. Realisierbar wäre außerdem eine Zusammenstellung und Aufsummierung von Nachhaltigkeits- analog zu Kosteninformationen in einem dem Preisspiegel ähnlichen Tool. Und noch ein Beispiel: Es sollen diejenigen Baustoffe mit den höchsten Emissionswerten und somit dem größten Optimierungspotenzial ermittelt werden. In unserer Software ‚AVANTI‘ gibt es die sogenannte ABC-Analyse, die die Materialien auf einfache Weise zusammenstellt, die die Baukosten in die Höhe treiben. Eine vergleichbare Auswertung wäre für CO2-Anteile verschiedener Materialien in unserem Programm denkbar.
CS: Gibt es weitere Rahmenbedingungen, die erfüllt sein müssen, damit Klimadaten optimal mit dem Bauprozess verankert werden können?
Andreas Haffa: Die Bauindustrie steht derzeit am Anfang eines umfassenden Transformationsprozesses. Ziel sollte sein, diesen mittel- bis langfristig über technologische Innovationen und rechtliche Anpassungen weiter voranzutreiben. Erste wichtige Grundsteine wurden in verschiedenen Verbänden und ihren Fachgruppen, wie bspw. im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB), im BVBS sowie bei buildingSMART Deutschland bereits gelegt. So existiert bspw. bereits ein Vorschlag des BVBS, mit dem Nachhaltigkeitskennwerte künftig über das GAEB-Schema (Gemeinsamer Ausschuss Elektronik im Bauwesen) und damit herstellerunabhängig und praktikabel für den Anwender transportiert werden könnten. Dieser befindet sich aktuell im Prüfverfahren. Auf Ansätzen wie diesen gilt es nun, konsequent weiter aufzubauen.